Entzaubert...oder doch bezaubernd?

Dezember 2023 | Ich kann es nicht leugnen – ich bin ein Fan von Glitzerkram. Obwohl er in den Geschäften immer zuviel, zu früh und zu offensichtlich kommerziell ist, vermag mich die Weihnachtszeit mit all den glitzernden Lichtlein zu bezaubern. Ich merke auch, dass ich das heute gerne zu lasse. 

Mir scheint, es gibt so vieles, was in unserer Welt ent-zaubert wurde. Sich freiwillig verzaubern zu lassen, wirkt für manche fast wie eine Schwäche, oder zumindest Naivität. Man sollte die Dinge doch realistisch sehen...

Oder - etwas überspitzt ausgedrückt: 

Liebe ist angeblich das Resultat eines Hormoncocktails in unserem Körper und des evolutionär angelegten Vermehrungstriebes. Religion und Spiritualität gelten oft als weltfremd oder als Realitätsflucht. An die Menschen und ihre positiven Eigenschaften zu glauben und daran, dass diese auch gelebt werden können, ist fast schon gefährlicher Wunderglaube. 

Es ist aber natürlich kein Wunderglaube, dass Nahrungsmittel mit immer mehr unnatürlichen, chemischen Zusätzen uns noch nähren sollen, dass man mit mehr Druck und künstlich erzeugtem Stress mehr Leistung aus den Menschen pressen kann, ohne dass sie auf Dauer Schaden nehmen oder dass mit immer mehr Waffen, die immer mehr Leid erzeugen, irgendetwas besser wird auf dieser Welt.

 

Ich glaube, dass wir Menschen allgemein ein bisschen dazu neigen, einem Wunderglauben zu folgen. Egal, ob er einer Religion, der Wissenschaft, der Wirtschaft oder der Politik entstammt. Wie seriös und fundiert er auch immer daherkommen mag. Jedes dieser Gebiete wird nun mal von Menschen erforscht und vor allem interpretiert und ich erlaube mir die Ansicht, dass Unfehlbarkeit in jeglicher Form ebenfalls ins Ressort «Wunderglaube» gehört. 

In einer Welt, die so komplex zu sein scheint, dass nicht einmal die gebildetsten Köpfe sie mehr wirklich überschauen, sehnen wir uns vielleicht alle nach der wohligen Sicherheit vermeintlicher Gewissheit. 

Wir wüssten so gerne ganz sicher, was denn nun «das Richtige» ist und wünschen uns von Herzen «die Lösung» für alle drängenden Problematiken in unserer Welt. 

Doch was für den Einen die einzig richtige Religion, die einzig richtigen wissenschaftlichen Informationen, die einzig richtige politische Gesinnung oder die einzig richtige ethische Ausrichtung ist, ist für einen anderen vielleicht undenkbar.

In unserer Verunsicherung beginnen wir dann zu streiten, andere Sichtweisen lächerlich zu machen und andere Meinungen zu verurteilen. Gerne verhärten uns auch auf eine festgelegte Sichtweise, damit wenigstens etwas sicher ist.

 

Schaut man zum Beispiel in das Philosophie-System des Buddhismus, betont dieser aber die Gemeinsamkeiten in der Menschheits-Familie. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Liebe, Frieden, Nahrung und Entfaltungsmöglichkeit ist für alle Menschen gleich. Die Grundbedürfnisse der Lebewesen sind nicht unzählige und sie unterscheiden sich auch nicht wesentlich voneinander – egal, welcher ethnischen Gruppe, Religion oder welchem Erdteil sie entstammen.

Natürlich sind die Bereitschaft und die Fähigkeit zu friedlichem Miteinander in vielen Menschen und Bevölkerungsgruppen durch Traumen und generationenaltem Schmerz verschüttet. Dennoch vermutet der Buddhismus, dass die erforderlichen Eigenschaften, in jedem Lebewesen angelegt sind. Sie zu entwickeln und das, was hinderlich wirkt zu heilen, gilt als Teil des Pfades.

 

Was denkst du? Komm es dir wie ein Wunderglaube vor, dass jedes Lebewesen die Anlage in sich trägt, ein mitfühlendes, gemeinschaftsfähiges und doch eingeständiges Wesen zu sein?

Mich persönlich bezaubert dieser Gedanke, vielleicht auch diese Hoffnung, seit meiner Kindheit. Im Laufe meiner Geschichte habe ich ihn zeitweise beinahe beerdigt. Ich fand mich selbst teilweise so unzureichend, dass ich diese Hoffnung nicht einmal für mich selbst hegen mochte. Doch je älter ich werde, umso mehr mag ich mich versöhnen mit mir und damit auch mit allen Menschen auf meinem Lebensweg. 

Auch wenn das vielleicht ein wenig sentimental klingt – es fühlt sich so an, als ob mein Herz weiter würde und meine Bereitschaft grösser, mich von Sichtweisen berühren zu lassen, die ich früher abgelehnt habe.

Dieses «Recht behalten wollen», damit das eigene Weltbild nicht ins Wanken gerät, nimmt ab und dadurch wird der Raum frei, mein Gegenüber vorurteilsfreier zu hören und zu spüren.

Und dann fühle ich mich auf einmal bezaubert von den Menschen um mich. In ihrer bunten, schillernden, glitzernden Unterschiedlichkeit und Einzigartigkeit. 

Denn ich «wunderglaube» ja im Innersten, dass wir hier auf der Erde eine ganz aussergewöhnliche Gemeinschaft von Lebewesen sind, die noch viel positives Entwicklungspotenzial hat.

 

Danke, dass du dein ganz besonderes Glitzern in meine Yogastunden trägst.

 

Ich wünsche dir, dass du über die Weihnachtstage Gelegenheit hast, das einzigartige Schillern deiner Liebsten wahrzunehmen. Dass du Dich beim Feiern einmal für eine Minute im Stuhl zurücklehnst, in die vertrauten Gesichter schaust, als ob sie ganz neu wären und in dich hinein spürst, wie es sich anfühlt, Teil dieses Kreises zu sein.

 

«Möge ich alle Wesen mit den Augen der Liebe sehen», 

so der Wunsch im Buddhismus. (Und dabei gerne auch mal in den Spiegel blicken)

Vielleicht wirst du ganz unverhofft bezaubert. 

 

Ich freue mich auf ein neues Yoga-Jahr mit dir! Ganz schöne Weihnachten und einen fröhlichen Rutsch ins 2024.

 

Sei ganz herzlich gegrüsst

Claudia